Musik zu Karfreitag 2021 in der Weihnachtskirche

Foto: Frank Bürger

Musik zu Karfreitag

Michel-Richard de Lalande

Troisième Leçon du Jeudi

Gabriele Näther, Sopran

Niklas Trüstedt, Viola da Gamba

Jürgen Trinkewitz, Cembalo

Das verwendete Cembalo wurde 1995 nach dem zweimanualigen Instrument von Claude Labreche (Carpentras,1690) von Joop Klinkhamer (Amsterdam) gebaut. Das Original befindet sich im „Landesmuseum für Kunst und Gewerbe“ in Stuttgart.

Stimmton ist der französische Kammerton, der 392 Hz beträgt und somit einen ganzen Ton unter dem heute gebräuchlichen Kammerton (440 Hz) liegt. Das Instrument ist in Vallotti temperiert.

Gabriele Näther studierte in Dresden und in Berlin. Sie sang über viele Jahre in Potsdam am Hans-Otto-Theater; dort vorrangig im Schlosstheater Sanssouci im Neuen Palais.

1987 bekam sie den Titel Kammersängerin verliehen.

Nach 1995 war sie im In- und Ausland hauptsächlich im Konzertbereich tätig (Kammermusik, Oratorium, Lied und Zeitgenössische Musik) mit Schwerpunkt Lateinamerika, Spanien und Norwegen.

Ein großes Repertoire an Alter Musik erarbeitete sie sich mit Jürgen Trinkewitz.

Ihre CD-Produktionen betreffen vor allem die Alte Musik sowie die Moderne.

Jürgen Trinkewitz Jürgen Trinkewitz wurde in Regensburg geboren. Er absolvierte ein Musiklehrerstudium mit den Instrumenten Orgel (Wolfgang Meyer) und Cembalo (Gerhard Kastner ) sowie ein Hauptfachstudium „Historische Tasteninstrumente“ an der Universität der Künste (damals HdK), Berlin bei Mitzi Meyerson und betrieb weitere Studien im Fach Cembalo bei Jacques Ogg in Amsterdam. Viele Jahre erhielt er Unterricht im Orchesterdirigieren bei Alexander Gelovani. 2004 promovierte Jürgen Trinkewitz im Fach Musikwissenschaft an der Universität Greifswald bei Prof. Matthias Schneider zum Dr. phil., wo er auch von 2006–2008 einen Lehrauftrag hatte. Von 2011 bis 2013 unterrichtete er als Lehrbeauftragter an der UdK Berlin. Jürgen Trinkewitz arbeitet als Kirchenmusiker der Ev. Weihnachtskirchengemeinde Berlin-Haselhorst und ist seit 1988 als Lehrer für Klavier, Orgel und Historische Tasteninstrumente an der Musikschule Fanny Hensel Berlin-Mitte tätig. Er konzertiert als Cembalist und Organist und spielte mit Gabriele Näther diverse CD-Produktionen bei querstand, Altenburg ein. Seine Tätigkeit als Musikwissenschaftler, Autor und Herausgeber ergänzt sein Betätigungsfeld. 2009 erschien sein Lehrwerk „Historisches Cembalospiel“ im Carus-Verlag, das sich einerseits mit den spielpraktischen Grundlagen des Instrumentes beschäftigt (Anschlag, Ornamentik, Applikaturen etc.) und andererseits umfangreich die aufführungspraktischen Grundlagen der Tastenmusik des 17. bis zum frühen 19. Jahrhunderts reflektiert.

Seine Tätigkeit als Musikwissenschaftler, Autor und Herausgeber ergänzt sein Betätigungsfeld.

Text

ALEPH

Ich bin der Mann, der Leid erfuhr durch die Rute seines Zornes.

Mich leitete und trieb er in lichtloses Dunkel. Gerade gegen mich kehrte er immer

wieder Tag für Tag seine Hand.

BETH

Hinschwinden ließ er mir Fleisch und Haut, zerbrach meine Glieder.

Er belud und umgab mich mit Gift und Mühsal.

Im Finstern ließ er mich wohnen wie die ewig Toten.

GHIMEL

Er ummauerte mich unentrinnbar, legte mich in schwere Fesseln. Auch wenn ich flehte und rief, er verschloß meiner Bitte den Weg. Er hat mir die Wege mit Quadern vermauert, die Pfade gekrümmt.

Jerusalem, Jerusalem,

bekehre dich zu Deinem Herrn.

Zum Werk

Seit dem Konzil von Trient (1548–1563) hatte sich eine feste Liturgie der Karwoche von Gründonnerstag bis Karsamstag mit täglich jeweils drei Ausschnitten aus den alttestamentarischen Klageliedern über die Zerstörung des Tempels von Jerusalem und die darauf folgende Sklaverei des jüdischen Volkes herausgebildet.

Im Judentum sind die Klagelieder Jeremias Teil der Liturgie eines Gedenktages im 5. Monat des jüdischen Kalenders für diese sowie alle folgenden Katastrophen, die durch Vertreibung und Verfolgung entstanden sind.

Die Bezeichnung LeVon(s) de ténèbres („Finsternis“) resultiert aus dem liturgischen Brauch, nach jeder „Lesung“ eine Kerze zu löschen, wodurch am Schluss eine völlige Dunkelheit herrschte. Die Kerzen symbolisierten unter anderem die Jünger Jesu, die ihn einer nach dem anderen verließen.–

Von den ursprünglich neun Leçons sind lediglich die jeweils dritten Leçon vertont und erhalten.

Ursprünglich wurden die Leçons in den Matutin-Gottes-diensten um drei Uhr morgens jeweils am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag zelebriert. Wegen dieser frühen Tageszeit war es bequemer, diese Gottesdienste auf den Nachmittag zuvor zu verlegen.

Die Vertonungen für die drei „Kartage“ unterscheiden sich in formaler und musikalischer Hinsicht.

Richard-Michel Lalandes erste LeVon ist in ihrer Stimmung ganz dem innerlichen Schmerz gewidmet. Dies entspricht auch der Ich-Erzählung des Textes. Schon in dieser Leçon kommt ein Stilmittel besonders zum Zuge, das Lalande virtuos handhabt, nämlich die rhetorisch motivierten dramatischen Pausen, so nach „vide Domine et considera“ („Sieh Herr, und betrachte“), wo in der Pause das ganze Bild des Jammers im Hörer entstehen kann. Nach diesem Einschnitt folgen dann wiederholte Töne, die das Bild eindrucksvoll in das durch diese konditionierte Gedächtnis einprägen sollen. Weitere bezeichnende Textumsetzungen finden sich auf „quoniam vindemiavit“ („denn der Herr hat mich zerstört“), wo man der Zerstörung in einer Art Totentanz beiwohnen kann und im sanften, schmeichelnden Ton, der die Schwäche und Hinfälligkeit des Erzählers darstellt („infirmata est virtus mea“, „meine Kraft ist geschwächt“). In jeder der Lamentationen bildet der immer identische Schlußvers des „Jerusalem, convertere ad Dominum Deum tuum“ („Jerusalem, kehre um zu Deinem Gott“) einen besonderen Höhepunkt. Hier ist der Vers in einer Chaconne über einen chromatisch abfallenden Bass umgesetzt, ein durch die Tradition bereits bekanntes Stilmittel der Schmerzdarstellung. Allerdings ist hier ein anflehender, rezitativischer Ausbruch auf „Deum“ eingefügt, der erneut die affektive Qualität dieser Vertonung unterstreicht. Die Chaconne für die Leçon vom Karmittwoch taucht identisch zum Schluss der Leçon am Karfreitag wieder auf, ein Beleg für die geschlossene Konzeption des gesamten Werkes.

Die Leçon für den Gründonnerstag ist deutlich extrovertierter und in ihrer Dramatik gesteigert. Dies hängt auch mit der Kürze der Verse und den jeweils drei Wiederholungen der hebräischen Anfangsbuchstaben zusammen. Diese Initialen sind weniger ornamental gehalten als in der affektiven „Karmittwoch-Leçon“. Der Text bietet auch hier den Anlass dafür, da er noch stärker die körperlichen und seelischen Leiden des Erzählers betont. Eindringlich stehen vor unseren inneren Augen bildhaft malende Szenen auf, die fließend übergehen in die Darstellung tiefster Verzweiflung. So können wir die Geißelhiebe spüren, die wieder durch dramatische Pausen vor jedem Schlag konturiert werden und mit dem Sänger gemeinsam erleben, wie sich „die Mauern verschließen“ und der Geschundene immer wieder versucht, einen Ausgang zu finden, aber nur im Kreis gehen kann.

Die dreimaligen Initialen des Beth dunkeln sich harmonisch zunehmend ein, um eine der eindringlichsten Schilderungen innerer Finsternis („in tenebrosis“) und die damit verbundene Einsamkeit und die Isolation von Gott und der Welt darzustellen. Sehr eindringlich können wir auch hören, wie die Schreie des Verzweifelten an den Gefängnismauern abprallen und zurückgeworfen werden (et clamavero, „ich schrie auf“).– De Lalande gelingt es, die traditionellen barocken musikalischen Bilder in eine allgemeingültige menschliche Erfahrung zu verwandeln, die man auch ohne genaue Kenntnis der Musiksprache miterleben kann.

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