„Das Johannesstift bedeutet mir alles“

Foto: Nelli Elkind

Von Smolensk nach Spandau: Interview mit Nelli Elkind

Von Frank Bürger

„Die Kamera klickt und ich bleib“ heißt eines der jüngsten Projekte. Es ist verbunden mit einem Buch. Wie beschreiben Sie dieses, was kann der Zuschauer oder Leser erleben?

In diesem Buch sind 64 sprechende Fotos versammelt. 64 Geschichten und 64 Autoren aus Deutschland, Russland, Syrien und Ägypten, mit Beeinträchtigung und ohne. Ich könnte lange darüber erzählen, wie und warum dieses Projekt entstand, aber ich will nur kurz sagen warum. Grenzen entstehen leicht. Zwischen Ländern, Gruppen, Menschen, Analphabeten und Akademikern, Menschen mit Beeinträchtigung und ohne. Dieses ständige Einteilen in „wir und die anderen“. Diese Grenzen sind oftmals nur hauchdünn und man kann durch sie hindurchsehen, aber trotzdem ist es sehr schwer sie zu zerstören, etwas Gemeinsames zu finden. Jeder Autor aus diesem Band liebt, leidet oder träumt. Egal von wo er kommt, ob er mehrere Sprachen spricht oder gar nicht sprechen kann. Die Autoren erzählten ihre Wünsche und Träume. Einer schrieb, manche erzählte, eine andere konnte sich nur mit Kopfbewegungen verständlich machen. Die Fotos und die Geschichten sind sehr unterschiedlich, aber alle vereint dasselbe, die Fähigkeit zu lieben und zu träumen. In der Kunst gibt es keine Grenzen. Alles ist nur eine Frage des Zuhörens und Verstehens. Es ist egal mit welcher Methode die Geschichten entstanden. Wir wollten sie hören und konnten es auch. Alles ist möglich. Das Buch ist ein gemeinsames Projekt vom Center Obereg der Pädagogischen Hochschule in Smolensk, Russland und der Macherei, dem Beschäftigungs- und  Bildungsangebot der Behindertenhilfe des Evangelischen Johannesstifts.

Wie kam es zu dem Projekt?

Angefangen hat alles bei einer Tasse Tee aus dem russischen Samowar und einem Gespräch über Inklusion mit Grigorij Elkind. Inklusion oder eher die Absurdität dieses Begriffes, der selbst auf die Trennungen und Barrieren in der Gesellschaft hinweist. Trennungen, die immer zu einem „wir“ und „die Anderen“ führen. Literatur und Kunst, welche schon so viele Jahrhunderte die Menschen bewegen, bieten immer eine gute Möglichkeit, diese Barrieren abzubauen, Barrieren, welche die Gesellschaft selber aufgebaut haben. So entstand aus diesem Gespräch die Idee, mit Hilfe von Kunst, Schubladen aufzumachen, in welchen, glattgebügelt, Begriffe liegen: „Flüchtlinge“, „Behinderte“, „Russen“ und „Deutsche“. So nahm „Die Kamera klickt und ich bleibe“, in welchem Wünsche und Träume von Menschen literarisch und fotografisch festgehalten wurden ihren Anfang.

Wie ist Ihre Verbundenheit zum Evangelischen Johannesstift?

Meine Verbundenheit zum Johannesstift lässt sich vielleicht am besten erklären, indem ich sage, dass ich hier lebe und arbeite. Also mein gesamtes Leben läuft hauptsächlich hier ab.

Bücher, Fotografieren, Filme machen, und das verbunden mit sozialer Arbeit im Evangelischen Johannesstift, wie würden Sie ihr Wirken beschreiben?

 Genau in diesen Projekten in Verbindung mit der Arbeit sehe ich die größte Möglichkeit, Grenzen verschwinden zu lassen. Wir treten nach außen in eine Öffentlichkeit und die Stimmen, die in der Gesellschaft nicht gehört wurden werden wahrnehmbar. In meinen Augen ist Kunst das beste Mittel Barrieren abzubauen.

Sie sind in Smolensk geboren, was verbindet Sie mit dieser Stadt?

In Smolensk verbrachte ich meine Kindheit, meine Familie lebt dort, genau wie viele Freunde. Ganz besonders war für mich, in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule, an der ich selbst studierte, dieses Projekt zu verwirklichen. Dass ich das zusammen mit meinem Neffen tun konnte, war sehr schön und spannend. Das Projekt erfuhr ein sehr großes Interesse in der Stadt. Viele Zeitungen berichteten und das Projekt wurde auch im Fernsehen gezeigt.

Wie führte der Weg von Smolensk nach Spandau?

Über ein Kooperationsprojekt mit der Lebenshilfe kam ich nach Deutschland und bin dann irgendwann nach mehrjährigem Pendeln hiergeblieben.

Gibt es wieder ein neues Projekt, das Sie angehen werden?

Aktuell gibt es noch Veranstaltungen zum letzten Projekt „65x Glück“, einem Projekt mit Kindern. Ideen gibt es viele und ganz sicher wird es auch wieder etwas Neues geben. Momentan bin ich sehr mit dem Projekt „DiaLOG-IN“ einem Projekt für geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigung beschäftigt.

Artikelausschnitt über ein Projekt aus Smolensk

…Die Ausstellung selbst, ist ein ziemlich mutiges soziales Projekt. Es demonstriert den Zuschauern, dass es in der Kunst keine Grenzen gibt. In der Kunst sind alle Menschen gleich. In unseren Vorstellungen gibt es keine Grenzen und keine Sprachbarrieren. Unsere Träume und Wünsche sind frei. Auf dem Planet Erde leben in diesem Moment 7,3 Milliarden Menschen. Das ist nicht nur eine Zahl, das sind menschliche Schicksale, hunderte ungewöhnliche Biographien, tausende unbekannte Geschichten, Millionen Emotionen, Erinnerungen… Das sind Milliarden Unbekannte, die man nicht kennt, obwohl man nicht weit voneinander lebt.  Wenn man sich aber hinausbewegt, aus seiner Komfortzone, heraus aus der Zone von Stereotypen und Angst, welche die ganze Welt aufteilt in mein und dein, Farbige oder Weiße, Kranke  oder Gesunde, letztendlich Männer oder Frauen, dann wird klar, dass es diese Barrieren gar nicht gibt in der Welt und wir diese nur selbst erschaffen haben. Alles ist möglich. Genau diese Gedanken spiegeln sich wieder im Projekt „Sprechende Fotos“…

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