
Berlin. Der Film „Münter und Kandinsky“ rückt international in den Fokus. Nur ein Meilenstein des Unternehmens CCC-Filmkunst mit Alice Brauner an der Spitze. Nun erfährt ihr Vater Artur Brauner eine weitere Würdigung.
Von Frank Bürger

Gabriele Münter schickt Wassily Kandinsky am 13. Juli 1922 eine 40-seitige Klageschrift. „Ich glaube mich wohl zu erinnern, dass ich dir manche künstlerischen Anregungen, Impulse, Initiative gegeben habe. Ich erinnere mich auch, dass Du von ewiger Dankbarkeit gesprochen hast. Deine Entwicklung hast du an meiner Seite durchgemacht“, schreibt sie anklagend.
Gabriele Münter war nie mit Kandinsky verheiratet. Lange hat es gedauert, bis er sich trennt. Aber die Beziehung findet keine Erfüllung.
Bei Gabriele Münter und Wassily Kandinsky kommen zwei Extreme zusammen: die große Liebe und die vermutlich noch größere Kunst. Gemeinsam leben die beiden Anfang des 20. Jahrhunderts im bayrischen Murnau am malerischen Staffelsee. Dort schaffen die beiden Großes, stellen bisherige künstlerische Konventionen in Frage und legen den Grundstein dafür, was einmal als Aufbruch in die künstlerische Moderne bezeichnet werden wird. Um sie herum bildet sich die lose künstlerische Gruppe „Der Blaue Reiter“. Doch die Beziehung der beiden ist geprägt von komplexen Dynamiken. Münter lernt noch an der Malschule, als sie sich in den zu diesem Zeitpunkt knapp elf Jahre älteren Kandinsky verliebt, der dazu auch noch ihr Lehrer ist. Irgendwann kann das auch die Kunst nicht mehr abfangen. Die beiden gerate immer mehr aneinander. Die Beziehung, in der die Macht der Farben zu spüren ist, endet fatal.
„Wir müssen sie nicht immer verstehen, wir müssen sie auch nicht immer mögen. Aber sie soll uns immer berühren“, schreibt der Regisseur Marcus O. Rosenmüller in einer Regienotiz über die Protagonistin seines neuen Werks „Münter & Kandinsky“. Der Film erzählt die Geschichte zweier Menschen, die für die Kunst lebten und einander auf oft zerstörerische Weise liebten: Gabriele Münter (1877-1962) und Wassily Kandinsky (1866-1944). Beide sind bedeutende Namen des Expressionismus – einer Stilrichtung, die Intensität und Individualität betont. Der von Rosenmüller beschriebene Ansatz, in der Figurenzeichnung Ambivalenz und Eigenart zuzulassen, ist daher ein stimmiger Weg, um sich diesen zwei Persönlichkeiten zu nähern.
In den Auftaktminuten mutet Münter & Kandinsky wie ein historischer Krimi an. Gabriele Münter (Vanessa Loibl) versucht, die Gemälde ihres einstigen Lebenspartners im Keller ihres Hauses zu verstecken. Ein Vertreter der Reichskunstkammer klopft mit Verstärkung an ihre Tür – auf der Suche nach sogenannter „entarteter Kunst“, die sie als „Geliebte des Volksfeindes“ mutmaßlich beherberge. Kurz darauf erfolgt ein Zeitsprung zurück ins gerade beginnende 20. Jahrhundert. Gabriele ist zunächst noch in New York; dann begibt sie sich nach München. Die begrenzten Möglichkeiten, die ihr als Frau zur Verfügung stehen, um sich als Künstlerin ausbilden zu lassen, geben ihr das Gefühl, nicht voranzukommen. Doch dann lernt sie bei einem abendlichen Aktzeichenkurs den lehrenden Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) kennen.
Schon in der ersten Begegnung zwischen den beiden wird deutlich, dass sich Gabriele und Wassily stark zueinander hingezogen fühlen. Die gegenseitige Faszination und Irritation sind von Anfang an zu spüren. Da Wassily mit einer Jugendfreundin (Cousine) verheiratet ist, der er sich verpflichtet fühlt, kann diese Liebe nicht sofort richtig ausgelebt werden. Die Inszenierung und das Drehbuch von Alice Brauner erzeugen aus dieser „unstandesgemäßen Beziehung“ keine unnötige Melodramatik; vielmehr zeigt der Film, dass die geschilderte Liebe insbesondere für Gabriele immer wieder einen Kampf mit Konventionen und ein Ringen um (Selbst-)Achtung mit sich bringt.
In Murnau in Oberbayern baut sich das Paar eine gemeinsame Existenz auf. Zudem gründen die beiden die Neue Künstlervereinigung München mit; später entsteht der Almanach Der Blaue Reiter – die wichtigste Programmschrift für die bildende Kunst des 20. Jahrhunderts. Der Film hakt diese Stationen nicht einfach ab, sondern entwickelt einen Erzählfluss, in dem sich das expressive und zunehmend abstrakte Malen für Gabriele und Wassily als zwingende Konsequenz nachvollziehen lässt. Wenn gemalt wird, setzen Rosenmüller und sein Kameramann Namche Okon unter anderem Detailaufnahmen ein, um dem Pinselstrich zu folgen. Zuweilen wird der kreative Prozess mit sehr dynamischen Bewegungen wie in einem Actionfilm eingefangen. In anderen Momenten werden wiederum die Ruhe und das Nachdenken erfasst – dann steht zum Beispiel Gabriele ganz still in der Landschaft, um eine Verbindung zu ihrem Inneren, ihrer Seele herzustellen.
Brauner und Rosenmüller schildern, wie eine unterschätzte Frau allmählich aus dem (übergroßen) Schatten eines gefeierten Mannes heraustritt. Auf Pathos wird dabei verzichtet. Durch die besagte Ambivalenz der Rolle und durch die kantige Art, in der Vanessa Loibl die Figur zum Leben erweckt, müssen keine Klischees bedient werden, es muss keine Stilisierung zur makellosen Heldin stattfinden, um zu begreifen, was Gabriele Münter aller Widerstände zum Trotz geleistet und hinterlassen hat.“
So ist es bei Kinozeit zu lesen.

Alice Brauner, die derzeit viel unterwegs ist, zur Präsentation von Film und dem dazugehörigen Buch, das gemeinsam mit Heike Gronemeier entstand, beschreibt die Historikerin, Journalistin, Filmproduzentin, seit 2019 Geschäftsführerin aller CCC Unternehmen und den Filmstudios ihres legendären Vater Artur, den Weg zu Film und Buch.
Es war die Entdeckung des Münter-Gemäldes „Blumenstrauß“ aus dem Jahre 1931. Hier fand Alice Brauner den Weg zum Stoff. „Das Gemälde entdeckte ich beim unerlaubten Rumstöbern im Büro meines hochgeschätzten Schwiegervaters Peter Zechbauer hinter einem schwer zugänglichen Vorhang…Während der Zeit der Pandemie habe ich viel Zeit im oberbayerischen Seenland verbracht. Dabei bin ich tief in Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Frau und Künstlerin, die mich nicht mehr loslassen wollte, eingedrungen.“
Die Filmstudios

1946 gründete Artur Brauner die CCC (“Central Cinema Company”). In den 78 Jahren ihres Bestehens produzierte die CCC rund 260 Kinofilme. In Artur Brauners 1948/49 errichteten CCC-Studios entstanden weit über 500 Filme, darunter auch große Hollywood-Produktionen wie “Dschinghis Khan”. Zu Artur Brauners “Entdeckungen” gehören die Schauspielerinnen: Sonja Ziemann, Elke Sommer, Senta Berger sowie Caterina Valente.
Während der “Goldenen fünfziger Jahre” waren 500 Mitarbeiter in den CCC Filmstudios beschäftigt.
Berlins Ruf als “Filmstadt” beruht im Wesentlichen auf den CCC-Studios. Die Tochtergesellschaft “CCC Television” produzierte mehrere hundert Stunden Programm für das ZDF, aber auch für den SFB, RTL, usw.
Zahlreiche CCC-Filme werden monatlich in den diversen deutschen und internationalen Fernsehsendern ausgestrahlt. “Goldene Bären” erhielten die Filme “Die Ratten” und “Vor Sonnenuntergang”.
Über 60 Filme wurden mit dem Prädikat “Wertvoll” oder “Besonders Wertvoll” ausgezeichnet.
Die “Goldene Kamera der Berlinale” erhielt Artur Brauner 2003 für sein Filmschaffen, sowie u. a. das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, das Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen (2004), die Ernennung zum Professor h.c. der Interamerican University of Humanistic Studies.
Den “Golden Globe” erhielten “Der brave Soldat Schwejk” und “Hitlerjunge Salomon”.
Die Filme “Bittere Ernte”, “Hanussen” und “Hitlerjunge Salomon” (amerikanischerseits für das Drehbuch) wurden für den “Oscar” nominiert.
Die italienisch/deutsche Koproduktion “Der Garten der Finzi Contini” erhielt 1970 den “Goldenen Bär” und 1972 den “Oscar” für den besten nicht englischsprachigen Film.
Den “Bundesfilmpreis” in verschiedenen Kategorien erhielten die Filme “Der 20 Juli” (1956), “Die weisse Rose” (1983) und “Der Rosengarten” (1990).
“Old Shatterhand” (1964) gilt als größter und aufwendigster deutsche Western.
“Kampf um Rom” (1968) gilt als der teuerste Film der Nachkriegsgeschichte.
Die Fernsehserie “Goldrausch” (1993) nach Jack London war seinerzeit die teuerste Serie in der Geschichte des deutschen Fernsehens.
Als einziger Produzent weltweit hat Artur Brauner 24 Filme über die Opfer des Holocaust produziert.
Artur Brauner
Artur Brauner gehörte zu jenen deutschen Filmproduzenten, die über 70 Jahre deutsche Filmgeschichte mitbestimmt haben. Er steht als Symbol für den deutschen Unterhaltungsfilm der 50er und 60er Jahre und ist zugleich Produzent einiger der wichtigsten westdeutschen Produktionen zur jüngsten deutschen Geschichte.
1918 als Sohn eines Holzgroßhändlers im heute polnischen Lodz geboren, machte er dort sein Abitur. Danach studierte er am Polytechnikum bis zum deutschen Überfall auf Polen. Mit seinen Eltern und vier Geschwistern flüchtete er in die Sowjetunion, wo er unerkannt überlebte. Er hatte 49 jüdische Verwandte durch die Nazis verloren, seine Eltern und drei seiner vier Geschwister wanderten nach Israel aus.
Schon vor dem Krieg war Artur Brauner ein großer Filmfan, der nach dem Krieg die Gelegenheit nutzt. Nach vorübergehenden Plänen, in die USA auszuwandern, beantragt er und erhält eine Lizenz und gründet am 16. September 1946 die Berliner CCC (Central Cinema Company) Film Gesellschaft mbH. Einer seiner ersten Filme der neuen Produktionsfirma wird MORITURI (1948) in der Regie von Eugen York mit Hilde Körber und Winnie Markus. Er setzt sich mit jüngster deutscher Geschichte auseinander und verarbeitet eigene Erlebnisse. Der Film wird jedoch ein kommerzieller Misserfolg. 1949, also vor 75 Jahren, erwirbt der Produzent im Norden von Berlin ein 35.000 qm großes Gelände einer ehemaligen Giftgasfabrik. In Spandau-Haselhorst baut er seine Filmstudios auf. In den folgenden Jahren setzte Brauner deshalb mehr auf Unterhaltungsfilme, die meist dem Publikumsgeschmack entsprachen. Große Erfolge konnte er in den 50er und 60er Jahren mit den DR. MABUSE-Produktionen und Filmen nach Bryan Edgar Wallace und Karl May verzeichnen. In dieser Zeit gehört das CCC-Atelier zu den besten europäischen Standorten, in denen bis heute über 700 Filme produziert worden sind. Etwa 230 der Filme sind Eigenproduktionen der CCC. Die ersten Dreharbeiten in neuerrichteten Studio finden für MAHARADSCHA WIDER WILLEN (1950) mit Olga Tschechowa statt.
In den CCC-Studios drehen junge deutsche Filmstars wie Romy Schneider in MÄDCHEN IN UNIFORM (1958). Auch den letzten Film von Romy Schneider DIE SPAZIERGÄNGERIN VON SANS SOUCI (1991) mit Michel Piccoli produziert Artur Brauner. Dazwischen liegen zahlreiche Kommerzfilme, mit denen Artur Brauer Millionen von Zuschauern in die Kinos lockt. Filmstar wie O. W. Fischer, Maria Schell, Sonja Ziemann oder Gert Fröbe gehen in den Studios ein und aus.
Artur Brauner setzt sein Kapital, welches er mit dem Unterhaltungskino verdient, in Filmprojekte ein, die ihm aufgrund seiner persönlichen Geschichte stark am Herzen liegen. Er produziert u. a. DIE WEISSE ROSE (1982) unter der Regie von Michael Verhoeven mit Lena Stolze als Sophie Scholl. Sein HITLERJUNGE SALOMON (1990) mit Marco Hofschneider und Julie Delpy in den Hauptrollen gewinnt den Golden Globe und erhält eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch. Für den Oscar als bester nichtenglisch-sprachiger Film darf HITLERJUNGE SALOMON nicht ins Rennen gehen, weil ihn die deutsche Auswahlkommission nicht nominiert. Dabei gilt der Golden Globe als sicherer Gradmesser für einen Oscar-Gewinn. HANUSSEN (1988) steht genauso auf seiner Produktionsliste wie BABIJ JAR (2003), ein Film über das Massaker an etwa 33.000 Juden bei Kiew. Seine Produktion DER LETZTE ZUG (2006) unter der Regie von Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová handelt von einer kleinen Gruppe Juden, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in einem Viehwaggon eines „Sonderzugs” zusammengepfercht und wie tausende andere jüdische Menschen von Berlin Grunewald nach Auschwitz verschleppt werden.
Artur Brauner hat mehr als 250 Filme produziert. Er war prominentes Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Berlin und Träger des Bundesverdienstkreuzes. 2003 erhält Artur Brauner auf der Berlinale die Berliner Kamera, eine Auszeichnung für das Lebenswerk von Filmpersönlichkeiten. Er hat für seine Produktionen zahlreiche Preise bekommen, darunter zwei Golden Globes. Den Oscar erhält er als Koproduzent für die deutsch-italienische Produktion DER GARTEN DER FINZI CONTINI (1970).
Am 11. Oktober 2018 wurde Artur Brauner von der Allianz Deutscher Produzenten (Produzentenallianz) und der Carl-Laemmle-Geburtsstadt Laupheim die „Laemmle“-Skulptur des Carl Laemmle Ehrenpreises überreicht. Die Auszeichnung wurde Artur Brauner anlässlich seines 100. Geburtstags am 1. August 2018 in Anerkennung seines herausragenden Lebenswerks als Filmproduzent zugesprochen.
Artur Brauner heiratete 1947 Theresa Albert, genannt Maria. Er war Vater von vier Kindern. Er lebte und arbeitete in Berlin.
Im September 2016 feierte die CCC Film ihr 70jähriges Bestehen und ist damit das älteste, noch aktiv produzierende, unabhängige Filmunternehmen Deutschlands.
Leider starb Maria Brauner im August 2017 und Artur Brauner im Juli 2019.
Quelle: CCC Filmstudios.
75 Jahre nach Aufbau der Studios in Haselhorst setzt dem Genius nun auch Spandau mit einer Straßenumbenennung ein Denkmal.
Hier die News zum Film

Kandinskx kennt jeder, aber Gabriele Münter? Höchste Zeit, dass sich das ändert. Danke für Eure Arbeit dazu!
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