
GÖTTERDÄMMERUNG Premiere 17.10.2021
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Regie: Stephan Herheim
Bühne: Silke Bauer
Kostüme: Uta Heiseke
Licht: Ulrich Niepel
Video: Torge Möller
Darsteller: Clay Hilley, Thomas Lehman, Jürgen Linn, Gidon Saks, Nina Stemme,
Aile Asszonyi, Okka von der Damerau, Anna Lapkovskaja, Karis Tucker,
Meechot Marrero,
Copyright: Bernd Uhlig
Berlin. Vom 11. Mai bis zum 2. Juni 2024 ist Ringzauber an der Deutschen Oper Berlin angesagt. Als Schlusspunkt der Tetralogie steht bei Richard Wagner das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“
Von Frank Bürger
„Eine Gruppe von Menschen trifft auf leerer Bühne auf einen Flügel, ein Ton wird angeschlagen, und langsam entfaltet sich eine Welt der Fantasie, der Sehnsüchte, des Rausches, die alle in Bann zieht und zur Gemeinschaft verschmelzen lässt. So beginnt DAS RHEINGOLD in der Regie von Stefan Herheim, getreu Wagners Kerngedanken, ein modernes Äquivalent zur gemeinschaftsstiftenden Kraft des Griechischen Theaters zu schaffen. An den vier Abenden schlägt Herheim den Bogen über Stationen der Aufführungsgeschichte bis ins Foyer der Deutschen Oper Berlin“, so ist es auf der Homepage zu lesen.
Stefan Herheims Gedanken sind festgehalten und es wird klar: Das Grauen des Holocausts lässt ihn bei der Inszenierung nicht los.
„Ich mag das Holocaust-Mahnmal. Auf monumentale Art und Weise versucht es, Unvorstellbares zu vergegenwärtigen, Unsägliches, das niemals verschwiegen werden darf. Besonders beeindruckt mich, was hier nicht vorgesehen scheint; es ist, als hätten sich viele der extrem regulär angeordneten Betonklötze im Laufe der Jahre verschoben.
Es sind nur wenige Zentimeter, aber in dieser streng konzipierten Topografie erinnert jede Abweichung an die Unzuverlässigkeit unseres Daseins. Die leicht gekippten, tonnenschweren Stelen bringen die eigene Wahrnehmung ins Wanken und lassen spüren, dass kein Fundament sicher ist.
In Berlin wandeln wir auf verbranntem Boden, können der Geschichte kaum ausweichen. Das Holocaust-Mahnmal ist wie eine Stadt in der Stadt. Bäume sind an den die Ränder des riesigen Stelenfelds verdrängt, als Natur tritt vor allem der Himmel in Erscheinung. Jede Wolke reguliert Licht, Hitze und Kälte, von Minute zu Minute wandern die scharfen Schatten der Blöcke. In der Sonne glühen sie weiß, bei Nässe färben sie sich dunkel.
Das erste Mal, dass ich dieses Gelände betrat, war in den frühen Morgenstunden nach einer ausgelassenen Zechnacht auf dem Christopher Street Day. Das Holocaust-Mahnmal war nur wenige Wochen vorher eingeweiht worden. Auf meinem Heimweg lag es nun so offen und ruhig vor mir, dass ich mich allein wähnte. Drinnen spielte sich allerdings Verstohlenes ab, und als ich erkannte, dass es zwischen den Stelen des Denkmals wie in einem schwulen Darkroom zuging, fiel ich aus allen Wolken, beschämt und fasziniert zugleich über die Freiheit, die man sich in Berlin nimmt.
Ich bin in Norwegen aufgewachsen; meine Mutter ist Deutsche, auch meine Großmutter väterlicherseits war Deutsche. Als meine Mutter Ende der Fünfzigerjahre mit Achtzehn nach Norwegen kam – der zweite Weltkrieg und die deutsche Besetzung waren noch allgegenwärtig – hat sie sich schnell assimiliert. Zuhause wurde nur Norwegisch gesprochen und auf der Suche nach meiner Identität habe ich mich der deutschen Schuld zunächst aus norwegischer Perspektive genähert. Der verwurzelte Hass der Norweger gegen Deutschland wirkte bis tief in die Neunziger hinein. Zu dieser Zeit studierte ich in Hamburg. Kamen norwegische Freunde zu Besuch, konnte es nach einigen Bieren passieren, dass sie auf der Großen Freiheit fröhlich herumliefen, den Hitlergruß zeigten und sich totlachten.
Es gibt kaum ein Werk, das so stark in der Biografie seines Schöpfers verhaftet ist, wie DER RING DES NIBELUNGEN. Wagner begann ihn zur Zeit der Revolution von 1848 zu konzipieren, deren Scheitern ihn zum Staatsfeind machte und zur Flucht in die Schweiz zwang. Erst fünfundzwanzig Jahre später vollendete der Kulturflüchtling sein »Kunstwerk der Zukunft« und fand im dafür erbauten Festspielhaus in Bayreuth den ersehnten Hafen für sich und die vielen Vertriebenen, die seine Tetralogie bevölkern. Zur Kultstätte der Nazis vollends pervertiert, wurde hier die Kunst des Antisemiten Wagner in den Dienst der Vertreibung und Vernichtung ganzer Völker gestellt. Auch als Reaktion auf die heutige, andauernde Flüchtlingskrise, spielt Flucht eine große Rolle in unserem Regiekonzept für den RING. Er erzählt von einer inneren Flucht, auf der wir uns alle auf eine Art befinden, auch wenn wir in der Kunst Zuflucht suchen. Als Gefangene der Corona-Krise wissen wir nicht, ob wir realisieren können, was schon so lange gedeiht und wächst. Mich lähmt die allumfassende Ungewissheit und die Schizophrenie, so schnell wie möglich zu einem business as usual zurückkehren zu wollen, dessen Gier, Konsumwahn und Dauerbetriebsamkeit die Weltkrisen unserer Zeit verursachen.
Hat die Kunst diesbezüglich als Wegweiser versagt? Wäre es vor 100 Jahren denkbar gewesen, das wirtschaftliche und kulturelle Leben ganz stillzulegen, um besonders vorerkrankte und ältere Menschen zu schützen? Ist die Bereitschaft, soziale Solidarität mitzutragen nicht auch etwas, das sich die kulturelle Prägung durch die Kunst anrechnen darf? Wie kann es dann sein, dass ausgerechnet Kulturschaffende in der jetzigen Krise an die Hungerhaken gehängt werden, als Exponenten eines Humanismus, der nicht nur geistiges Parfüm ist, sondern tatsächlich greift? Wagners »Kunstwerk der Zukunft« kommt ohne das Prinzip Hoffnung nicht aus. Auch in der heutigen, statistisch gesehen weit besseren Welt als zu Wagners Lebzeiten, bleibt das Bedürfnis nach einer Kunst, die fragt, wohin wir gehen. Das Paradies haben wir mit der Erkenntnisfrage verspielt, die uns zu einer auf sich selbst gestellten Menschheit macht. Die Verantwortung dafür zu tragen, ist und bleibt die Herausforderung.“
Man kommt so an dem Verhältnis von Friedrich Nietzsche und Richard Wagner nicht vorbei.
Der Journalist Helmut Hein schreibt in der Mittelbayerischen Zeitung:
„Wagner hatte seine großen Themen früh gefunden und im vorrevolutionären Paris der 1840er Jahre und auf den Barrikaden der 48er-Revolution, die ihn zum „Staatsfeind“ machte, verfestigt. Der „Ring“ ist nicht nur in der erst heftig umstrittenen, dann einhellig gefeierten Jahrhundert-Inszenierung Patrice Chéreaus (1976) kapitalismus- und modernitätskritisch. Das Geld und die „Verträge“ sind Schuld an Entfremdung, Weltuntergang und „Götterdämmerung“. Die Liebe erscheint als große verzaubernde und zerstörende Himmels- und Höllenmacht, die zu Tod („Tristan“) und Erlösung („Parsifal“) führt.
Die Lektüre Schopenhauers macht den Erneuerer zuerst zum spätzeitlichen Pessimisten, dann zum christlichen Heilssucher, der wie viele seiner romantischen Vorläufer am Ende seines Lebens auf der Flucht vor einem gefräßigen Nihilismus „zu Kreuze kriecht“. Und alles wird bei Wagner nicht nur These, sondern Szene und Musik, ein aufgeladener Kosmos der Sensationen und Sounds. Nicht bloß der späte Verächter Nietzsche konstatiert bei ihm eine Tendenz zur Auflösung. Wer sich Wagner hingebe, überlasse sich einer Droge.“
Das Siegfried-Wagner-Haus symbolisiert in besonderer Weise die nationalsozialistische Inanspruchnahme Wagners und der Bayreuther Festspiele. Von 1936 bis 1940 beherbergte Winifred Wagner hier Adolf Hitler während seiner Festspielbesuche. Sie selbst lebte darin bis zu ihrem Tod 1980. Dieser historisch in besonderer Weise kontaminierte Ort ist heute Schauplatz der Dokumentation und Darstellung der Ideologiegeschichte Wagners, der Bayreuther Festspiele und der Wahnfried-Familie vor und während des „Dritten Reichs“.

Historisch bemerkenswert ist es auch, dass der Ring in der Zeit zwischen Kapitulation am 8. Mai und der Verhaftung der Elite am 23. Mai gezeigt wird.
Nachdem am 23. Mai dann auch die letzte Reichsregierung im Sonderbereich Mürwik verhaftet worden war, wurden Karl Dönitz, Albert Speer und Alfred Jodl in den Freigängerhof des Polizeipräsidiums Flensburg gebracht, wo die internationale Presse Fotos machen durfte, bevor sie zum Kriegsverbrecherprozess nach Nürnberg gebracht wurden, aber nicht als „Meistersinger“
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