Fahrt in die Hölle

Berlin. Die Fahrt zur Gedenkstätte Auschwitz ist angesichts des Krieges im Gazastreifen nicht nur eine Reise in die Vergangenheit.

Von Frank Bürger

Jedes Mal ist eine Fahrt in die Gedenkstätte Auschwitz eine Begegnung mit unvorstellbarem Grauen und Leid. Ich neige mein Haupt angesichts des Grauens, was wir im Gaza-Streifen und in der Ukraine erleben. Ich neige mein Haupt.

Impressionen vom Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau im Oktober 2023

Hier eine Andacht, die ich 2020 im Evangelischen Johannesstift hielt.

Liebe Schwestern, liebe Brüder

am 27. Januar 1945 haben Einheiten der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau erreicht und die letzten verbliebenen 7.500 Gefangenen befreit; mehr als eine Million Menschen waren seit 1940 im Stammlager Auschwitz und dem Außenlager Birkenau ermordet worden.

Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland nationaler Gedenktag; 2005 hat die UN-Generalversammlung den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt.

Die Erinnerung an den millionenfachen Mord in Auschwitz erfüllt uns bis heute mit tiefer Trauer. Aber der 27. Januar ist, recht verstanden, auch ein Tag, für den wir Dankbarkeit empfinden. Denn er handelt davon, dass den Verbrechen ein Ende gesetzt wurde.

Das Gedenken am 27. Januar eines jeden Jahres führt uns vor Augen, dass eine durch menschliches Wollen geschaffene Mordmaschine durch menschliches Wollen gestoppt wurde.

Vor allen Opfern verneigen wir uns. Ihr Andenken darf weder den heute lebenden Generationen noch den künftigen gleichgültig werden. Denn es wäre ein Verrat an den geschundenen und ermordeten Menschen und es wäre zugleich ein Verrat an den Werten der menschlichen Zivilisation, würden wir das Leiden und Sterben von Auschwitz im Nebel der Geschichte versinken lassen.

Der Versuch einer Auslöschung der europäischen Juden ist in Deutschland unlösbar mit dem Ortsnamen „Auschwitz“ verbunden. In besonderer Weise erinnern wir deshalb anlässlich des Jahrestags der Befreiung dieses Lagers an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.

Als Deutsche und als Christen blicken wir mit bleibender Anspannung auf die dunkelsten Stunden unseres Volkes. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine viel größere Zahl unserer Landsleute an den Verbrechen beteiligt war, als die allermeisten sich eingestehen wollten.

Nicht wenige Deutsche profitierten von der Ausbeutung der bereits vor dem Krieg entrechteten Juden. Viele verharrten in Gleichgültigkeit angesichts der kursierenden Nachrichten über die an den Juden verübten Grausamkeiten. Und noch viel mehr waren infiziert vom Ungeist der Geringschätzung gegenüber den Juden, von Verachtung und Hass, die staatlicherseits mit größtem Nachdruck propagiert wurden. Uns Heutigen ist Zurückhaltung im Urteil über die damals Lebenden abverlangt. Wir wissen, dass viele von ihnen weder dem Druck noch der Desinformationspolitik des allgegenwärtigen totalitären Regimes gewachsen waren. Aber die Geschichte und die Geschichten von Recht und Unrecht, von Courage und Feigheit müssen weitererzählt werden, damit Verderben und Schuld sich nicht erneut unseres Volkes und auch anderer Völker bemächtigen können.

Steinmeier

Rund 50 Staats- und Regierungschefs kamen im vergangenem Jahr nach Yad Vashem gekommen. Erstmals durfte dort mit Frank-Walter Steinmeier das Staatsoberhaupt aus dem Land der Täter sprechen, mit einer klaren Botschaft.

Steinmeier begann die vielleicht wichtigste Rede seiner politischen Laufbahn auf Hebräisch mit einem Satz aus dem Alten Testament: „Gepriesen sei der Herr, dass er mich heute hier sein lässt.“

Der Bundespräsident bekennt sich zur Verantwortung der Deutschen für den Holocaust: „Der industrielle Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte – es wurde von meinen Landsleuten begangen.“ Er stehe hier als deutscher Präsident „beladen mit großer historischer Schuld“.

Er verspricht: „Wir bekämpfen den Antisemitismus! Wir trotzen dem Gift des Nationalismus! Wir schützen jüdisches Leben! Wir stehen an der Seite Israels.“

Woidke

Auf seiner ersten Auslandsreise als Bundesratspräsident hatte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke die enge Partnerschaft mit Polen bekräftigt und sich für den Ausbau auf allen Gebieten eingesetzt. Es sei auch ein Signal an den östlichen Nachbarn gewesen, dass seine erste Reise in der Funktion an der Spitze der Länderkammer nach Polen geführt habe, sagte Woidke zum Abschluss der Gespräche in Warschau.

Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz hob Woidke die gemeinsame Verantwortung für den Frieden hervor und betonte, Deutschland könne den Mut der Polen, sich vor allem auch nach 1945 für die Freiheit einzusetzen, nicht hoch genug schätzen. Er erinnerte mit Blick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai vor 75 Jahren an die Gräuel, die Deutschland über Polen gebracht habe. Daher unterstütze er die Absicht des Bundestags, die Idee eines Polendenkmals als einem Ort des Gedenkens, Lernens und der Begegnung zu konkretisieren.

Holocaust

Bilder und Musik bewegen mehr als Worte es vermögen. Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss ist eine vierteilige US-amerikanische TV-Mini-Serie aus dem Jahr 1978 von Marvin J. Chomsky. Sie erzählt die fiktive Geschichte der jüdischen Berliner Arztfamilie Weiss zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Serie wurde im Januar 1979 auch in Deutschland ausgestrahlt, erreichte ein großes Publikum und führte zu einer breiten Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit. der Politologe Peter Reichel bezeichnet die Ausstrahlung der Fernsehserie als einen Meilenstein in der Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik; sie markiere „den Beginn der Bereitschaft nun auch eines Massenpublikums, sich mit der NS-Vergangenheit überhaupt auseinanderzusetzen“.

Schindlers Liste

Auch Hollywood beschäftigte sich mit dem Stoff. Schindlers Liste ist ein Spielfilm von Steven Spielberg aus dem Jahr 1993 nach dem im Deutschen gleichnamigen Roman von Thomas Keneally. Beeindruckend nicht nur die Bilder, die an Originalschauplätzen gedreht wurden. Beeindruckend auch die Musik. Die Filmmusik schrieb der amerikanische Komponist John Williams. Weil er von dem Film sehr beeindruckt war, traute er sich zunächst nicht, für den Film zu komponieren. Er befürchtete, dass seine künstlerischen Fähigkeiten für diesen seiner Meinung nach großartigem Film nicht ausreichen würden. Daher ging Williams auf Spielberg zu und sagte zu ihm: „Steven, du benötigst einen besseren Komponisten, als ich es bin.“ Daraufhin antwortete der Regisseur: „Ich weiß! Aber die sind alle tot.“

Besuch in der Gedenkstätte mit dem Verein Podest

Doch das, was haften bleibt, sind die Besuche an der Gedenkstätte selbst, die Beschäftigung mit dem Thema. Heute unterrichte ich in einer Grundschule in Spandau. Einst stand ich einem Träger voran, der sich Jugendarbeit auf die Fahne schrieb. Die polnische Fahne wurde von rechten Jugendlichen von der Wand gerissen. Ein Höhepunkt der Zeit dort war der Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz.

Umso mehr muss uns entsetzen, dass der Judenhass mittlerweile wieder stärker hervortritt – in vielen Ländern, aber trotz unserer Geschichte auch in Deutschland. Neben den aus neonazistischem Geist gespeisten Antisemitismus, der in manchen Kreisen wieder sein Haupt erhebt und wie erst jüngst beim Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) zunehmend gewalttätiger wird, tritt unter einer Minderheit der Muslime eine Judenfeindlichkeit auf, die religiöse mit politischen Motiven verbindet. Gemeinsam mit dem Staat sind alle in unserer Gesellschaft – Christen, Muslime, Anders- und Nichtglaubende – aufgerufen, dem Judenhass in all seinen Formen und bei jedem Anlass entschlossen entgegenzutreten.

Es bleibt zu sagen: Unsere jüdischen Brüder und Schwestern müssen angesichts unseres Verhaltens überzeugt sein können, dass die Christen an ihrer Seite stehen, wann immer sie diffamiert, eingeschüchtert oder angegriffen werden. Diese Haltung sind wir der Einsicht in die Geschichte und unserem eigenen Glauben schuldig.

Was war, was bleibt:

Der Atem des Todes – das Krematorium in alten, zerfallenden Mauern – die Habseligkeiten der Ermordeten – die Baracken als Ort der Entwürdigung und der Bloßstellung – die Schienen als Netzwerk des Todes – die Stille – das Gebet – der Schrei: Niemals wieder.

Ich senke mein Haupt

Worte zum Reformationstag 2023 in der Weihnachtskirche

Orgel: Detlev Hesse

Ich neige mein Haupt

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