
Schwetzingen. Die Autorin Carla Thompkins hat ihre Kindheit in Schwetzingen verbracht. Das ist ja auch bei mir der Fall. Hier ein Gastbeitrag mit dem Titel „Schwetzinger Düfte“.
Von Frank Bürger
Mein Lieblingsort als Kind war in Schwetzingen die Carl-Theodor-Straße. Diese Geschäftsstraße ist benannt nach einem gebildeten und wissbegierigen Kurfürsten. Die meiste Zeit verbrachte ich dort in einer Altbauwohnung mit hohen Stuckdecken. Ich hätte damals schon nach Karlsruhe oder nach Mannheim mit dem Zug fahren können, und die Straßenbahn Linie 11 hätte mich nach Heidelberg gebracht. Aber ich hatte nie den Wunsch wegzufahren, denn in dieser Straße gab es alles, was ich glaubte, zum Leben zu brauchen: Ein Schreibwarengeschäft, wo ich blaue Tinte bekam. Das war damals sehr wichtig für mich, mit einem Federhalter zu schreiben. Direkt nebenan war eine Kohlenhandlung; auch wichtig, um im Winter es mollig warm zu haben. Ferner gab es ein Reformhaus, eine Drogerie, eine Apotheke, eine Konservenfabrik und ein Wirtshaus mit Kegelbahn.
Ein paar Schritte weiter Richtung Schloss befanden sich zwei „Modehäuser“, ein Supermarkt und ein Elektrogeschäft. Dieses Elektrogeschäft hatte ein Telefon. Die Inhaber waren Karl und Luise Fisler. Der „Meschter“ (Meister) Karl schenkte uns einen Schwarzweißfernseher und ließ mich das Telefon benutzen, um Ferngespräche mit meinem Onkel Hellmut zu führen. Nach ein paar weiteren Schritten kam eine Straßenkreuzung, die Drehscheibe genannt wurde. Dort saß ein alter Mann mit einem Korb voller Brezeln. Ich habe nirgendwo bessere Brezeln gegessen als die Schwetzinger Brezeln für fünfzehn Pfennige an der Drehscheibe.
Es kommt mir heute so vor, als ob die Sommer unendlich lang waren. Wenn ich jetzt an Schwetzingen denke, so erinnere ich mich besonders gerne an die sommerlichen Schwetzinger Düfte. Ich hielt mich als Kind oft auf dem Küchenbalkon auf. Dort habe ich einen Geruch eingeatmet, den ich nie vergessen werde. Es war der warme, süßliche und leicht blumige Duft von Tabakblättern. Diese wurden auf dem Dachboden eines länglichen Schuppens im Hinterhaus getrocknet.
In Schwetzingen gab es überall Lindenbäume, sogar eine Straße mit Namen „Lindenstraße“. Diese Linden dufteten berauschend. Auch an meinem alten Gymnasium standen Lindenbäume. Ich erinnere mich, dass im Sommer die Fenster des Klassenzimmers offen waren. Ich hatte einen Fensterplatz, genoss den zarten, kühlen und leicht süßlichen Duft der Lindenblüten. Ich träumte vor mich hin und hörte im Hintergrund den Lehrer rhythmisch sprechen: „Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo, sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat“. Ich behielt den Klang des Hexameters im Ohr, den Duft in der Nase und den Traum der Menschheit von einem Goldenen Zeitalter im Gedächtnis.
Und da waren noch die riesigen lila Fliederbüsche vor dem Schlosseingang. Ich konnte in den Büschen herumlaufen als Kind. Dieser Flieder roch himmlisch, oder was man sich darunter vorstellt: Blumig, süßlich-beißend und gleichzeitig sanft und durchdringend.
Und nicht zu vergessen, den Hopfen! Es gab damals zwei Bierbrauereien, die brauchten natürlich Hopfen, der hinter dem Schlossgarten angebaut wurde. Das war ein herrlich frischer Duft. Wenn man eine Hopfendolde zwischen den Fingern zerrieb,
so stieg ein frisch feinwürziger Duft in die Nase, der sehr beruhigend auf mich wirkte.
Viele Jahre später entdeckte ich, dass in Schwetzingen hinreißend attraktive Düfte in Flakons angeboten wurden. Ein Schwetzinger Parfümeur kreierte sie. Wer sonst? Armin aus der Carl-Theodor-Straße natürlich! Mein Nachbar! Diese Flakons begleiteten mich überall hin, auch über den Ozean nach Amerika. Ich öffnete mich für neue Düfte und neue Gedanken. Ich werde nie vergessen, dass ich in Korfu oder in Sardinien mich an große alte Olivenbäume lehnen konnte, und ich förmlich die Kraft dieser Bäume glaubte zu erspüren. Mein neuer Lieblingsduft wurde die Mimose. Es gab nichts Betörenderes für mich als zwischen Januar und Ende März die Mimosen-Route entlang zu fahren. Die Côte d’Azur bis hoch nach Grasse hat dann ein gelbes Kleid angelegt, eine Robe in badischem Gelb.
Schwetzingen hat mich gelehrt, die Welt zu lieben, das Schöne zu suchen und zu genießen. Danke, Kurfürst Carl Theodor, für Ihre große Liebe zur Kunst, zur Musik und anderen Kulturen.
